francoise sagan


Moral und Melancholie


 Francoise Sagan hat  in ihrem aufregenden Leben viele Romane geschrieben, aber keiner war so erfolgreich wie ihr sensationeller Erstling "Bonjour Tristesse". Eine lohnende Wiederentdeckung.


In "Bonjour Tristesse" beschrieb sie den Hedonismus und die fälschlicherweise sogenannte  "leichte Moral" der Jugend, die Eitelkeiten und die Libertinage , den Lebenshunger und die  Geschwindigkeit eines befreiten Lebens an der Schwelle der sechziger Jahre.

Es überrascht nicht, dass es ihre  manchmal naive Abenteuerlust und durchaus auch die flatterhafte Eleganz ihres Lebens war, die die Verfasser ihrer zahllosen Nachrufe im Jahre 2004 in erster Linie interessierten. Ihre Auftritte waren nicht selten spektakulär genug für gut verkäufliche Schlagzeilen. 

Von diesem wunderbar schlanken, vielfach missverstandenen kleinen Roman und von seiner jungen Heldin Cécile konnte sich Françoise Sagan nie ganz befreien . "Bonjour Tristesse" endet - nachdem mehrere Varianten mit ihren Verlegern diskutiert worden waren - mit dem tödlichen Autounfall der neuen Geliebten des Vaters. Nur drei Jahre nach der Veröffentlichung des Romans erlitt Francoise Sagan, deren Liebe zum schnellen Fahren ein wichtiger Teil ihres Lebens war und blieb, schwerste Verletzungen, multiple Frakturen, als ihr Aston Martin sich mit hoher Geschwindigkeit überschlug.

"Der Professor hat mein Leben gerettet indem er mich nicht operierte",

sagte sie später einmal.

Was ihr blieb waren die Schmerzen und das Morphium. Sie war im Hospital auf diese Weise von den Drogen abhängig geworden und entließ sich endlich selbst - um sich zu retten. Aber nun war ihr Leben nicht mehr wie es vorher gewesen war: spontan und unbeschwert, obwohl sie nach wie vor nur das tat, was sie wollte. Und wenn sie etwas wollte, dann musste es sofort und hier und jetzt passieren. Nichts duldete Aufschub, das Leben wartete nicht.

"Im Grunde ihres Herzens ist sie immer das unbeschwerte zwölfjährige Kind geblieben" wie es ihre Freundin Juliette Gréco einmal formulierte," sie tat stets nur das, was sie wollte - koste es was es wolle."

Ihr unstillbarer Hunger nach dem Unerreichbaren, und die tiefe Sehnsucht von "Bonjour Tristesse" überwältigten nicht nur eine junge Leserschaft in ganz Europa sondern wurden auch von der Kritik sehr wohlwollend beachtet.

Der Erfolg von "Bonjour Tistesse" war überwältigend und Francoise Sagan eroberte ihr neues Publikum im Sturm und binnen weniger Tage.. "Paris Match" nannte sie "eine 18-jährige Colette", was wenig angemessen war. Sie hatte den überaus wichtigen Prix des Critiques gewonnen, und die begeisterte Anerkennung kam von den verschiedensten Seiten. Der amtierende Nobelpreisträger, Francois Mauriac, titelt in Le Figaro über sie.

"Ihr literarisches Talent explodiert von der ersten Seite an und ist unbestritten",.

Die Moral und ihre Negation blieben das bestimmende Thema und die Triebfeder aller handelnden Protagonistinnen ihrer folgenden Romane.: In diesem Sinne ist Sagan weitaus klassischer als manche ihrer existentialistischen Zeitgenossen. Wenige Jahre später eroberte ein Regisseur namens Federico Fellini das italienische Publikum mit "La dolce vita", der Geschichte des suchenden jungen Journalisten Marcello. Auch er stellt die Frage nach einer gültigen Moral inmitten einer verkommenen und desillusionierten Bourgeoisie, die sich mit Exzessen jeder Art zu betäuben versucht. Die Kirche war entsetzt und empört und bekämpfte den Film unerbittlich, da er jegliche Moral konsequent leugnete in der Stadt des Papstes. Gleich in der ersten Szene des Films wird die überlebensgroße Christusfigur von einem Hubschrauber baumelnd aus der Stadt ausgeflogen. Gott ist tot, lautete die Botschaft.

Auch in Frankreich hatte Francoise Sagan mit erbittertem Widerstand des Klerus zu kämpfen. Francoise Sagan war durchaus bewusst, dass sich die Missbilligung ihres Romans nur mit der bigotten Moral eines noch überwiegend katholischen Landes erklären ließ.

"Es war unvorstellbar, dass ein junges Mädchen im Alter von 18 Jahren einen Jungen in ihrem Alter liebt, ohne verliebt zu sein, und dafür nicht bestraft wird",

schrieb sie 30 Jahre später. "Die Leute konnten die Vorstellung nicht ertragen, dass das Mädchen sich nicht in den Jungen verlieben sollte. Es war auch nicht hinnehmbar, dass ein junges Mädchen das Recht hatte, ihren Körper zu benutzen wie sie will, und Freude daran haben konnte, ohne umgehend dafür bestraft zu werden "

Natürlich beschäftigt sie sich als junge Autorin auch mit der Frage der Realität des Individuums, der Dialektik seiner Existenz und seiner Konfrontation mit den überkommenen Verhaltensnormen einer erstarrten, weitgehend katholischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert, aber in "Bonjour Tristesse" sind diese Normen ebenso psychisch wie gesellschaftlich virulent und erfahrbar.

Cécile, diese unglaublich befreite Siebzehnjährige ohne Mutter, deren freizügiger, leichtsinniger Vater der einzige erlebbare Maßstab für ihre persönliche Moral war, bietet Sagan ein damals radikales Modell für eine menschliche Sensibilität, die hier ebenso dramatisch wie selbstzerstörerisch Gestalt annimmt. Auch die Art und Weise, wie elementare Fragen ihre physische und emotionale Verfassung zunehmend dominieren, stellen eine schonungslose Kritik der herrschenden Moral dar, was diesen Text eines achtzehnjährigen Mädchens zu einer literarischen Sensation machen sollte. Dies sind die Fragen einer Achtzehnjährigen , die den Kern von Sagans kurzem und beunruhigendem Erstlingswerk bilden.

Selbst unter der Sommersonne des Mittelmeers, lässig entspannt weit entfernt von Paris, von Struktur, Pflichten oder strenger Kontrolle gelingt es den Protagonisten nicht, sich vom spontanen Impuls oder den alltäglichen Zufällen treiben zu lassen. Eine verhasste Kontrollinstanz beendet die Unbeschwertheit und lockere Moral des Dreigestirns, bestehend aus Cecile, ihrem Vater und dessen Geliebter Elsa. Mit Anne, einer Freundin ihrer toten Mutter betritt eine beherrschende und erwachsene Kontrollinstanz die Szene und zerstört den unbeschwerten Hedonismus in der Ferienvilla am Meer.

"Das war es, was ich an Anne hasste: Sie hat mich davon abgehalten, mich selbst zu mögen. Ich war von ihr zu einem schlechtem Gewissen gezwungen worden. "

Cecile verabscheut naturgemäß zutiefst diese von Anne verkörperte sogenannte bürgerliche Moral, die alles zerstört was ihr lieb und wichtig ist und ihr letztendlich sogar den geliebten Vater entfremdet. Diese verlogene Moral entfacht ihren Selbsthass, der sich nach außen wendet, und nur noch rivalisierende, ungute Empfindungen in ihr weckt. Francoise Sagan schildert eindrucksvoll die vielschichtigen Konflikte und Emotionen, die von nun an unweigerlich das Handeln ihrer Protagonistin bestimmen werden.

"Ich suche nicht nach Genauigkeit bei der Schilderung meiner Charaktere. Ich versuche meinen Helden eine Art Wahrhaftigkeit zu verleihen."

Ihr brillanter psychischer Realismus zeichnet ein verstörendes Profil einer jungen Frau, die aus dem Reich ihrer Liebe und Kindheit vertrieben wird und in einer jugendlichen Akzeptanz von Melancholie enden wird. Bonjour Tristesse.

Lesen wir heute nochmal ihre Romane, so erkennen wir sie wieder: die furchtlose Geliebte, die kämpferische Gefährtin, die lebenshungrige Nomadin, die elegante Verschwenderin, die hingebungsvolle Träumerin - getragen von der unstillbaren Sehnsucht nach dem Unerreichbaren.

"Die Sehnsucht erscheint mir als die einzige ehrliche Eigenschaft des Menschen", sagte Ernst Bloch.

Diese "Mangelerfahrung" des Individuums, auf die  Bloch sein "Prinzip Hoffnung" gründet, findet sich bei Francoise Sagan als der beklagte "Mangel an Eleganz" des Lebens. Wobei sie  diese "Eleganz" durchaus auch als ästhetisches Kriterium für ihre Kunst betrachtete. Mit diesem Mangel konnte und wollte sich die junge Autorin nicht abfinden. Ihre Rebellion war nicht die Kopfgeburt einer linken Intellektuellen, ihre Rebellion war intuitiv und somit unumkehrbar.

Aber das Glück lag immer am anderen Ufer. Sie versuchte ja schon in jungen Jahren ein kleines bürgerliches Glück in einer bürgerlichen Ehe, was naturgemäß schon nach wenigen Monaten scheitern musste. Sie liebte die Liebe mit ihren Männern und Frauen mit sehr wechselnden Erfahrungen. 

Zudem war sie seit ihrem  schweren Unfall drogenabhängig geworden. Jedoch selbst  in ihrer fortdauernden Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der  stets unersättlichen Verleger, den Verlockungen ihrer hedonistischen  Pariser Boheme und dem  leeren Blatt Papier vor ihr fand sie schon wenige Jahre nach ihrem sensationellen Debut die Kraft, sich den Fragen ihrer Generation mit Courage zu stellen.

Am 6. September 1960 gehörte sie zu den Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen des sogenannten "Manifesto der 121", in welchem französische Künstler, Kulturschaffende und  linke Intellektuelle öffentlich gegen das Vorgehen der französischen Armee im Algerienkrieg protestierten. Dieser mutige Akt des Widerstands war damals in Frankreich keineswegs ein Kavaliersdelikt. Die Unterzeichner, unter ihnen Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoire, Yves Montand, Francois Truffaut, Simone Signoret, Danielle Delorme und viele andere Regisseure und Autoren, wurden auf eine schwarze Liste gesetzt. Ihre Werke wurden aus den Feuilletons verbannt, Theater wurden nicht mehr subventioniert, Autoren nicht mehr veröffentlicht. Es war ganz offen von einer "McCarthysierung" Frankreichs die Rede.

Truffaut schrieb im Oktober 1960 einen geradezu panischen Brief an seine Freundin Helen Scott in New York, der mit dem Satz endete:

"Werde ich meinen nächsten Film noch in Frankreich drehen können?"

In den USA konnte Truffaut nicht arbeiten, da er kein Wort englisch sprach. Francoise Sagan gehörte auch zu den Intellektuellen, welche die 68er Revolte an der Pariser Sorbonne  unterstützte. Sie besuchte regelmäßig die Vollversammlungen der Studentenschaft, diskutierte und mischte sich ein. Dabei waren ihre Nonchalance und Schlagfertigkeit bereits sprichwörtlich geworden. Als ein Wortführer sie einmal herablassend fragte: 

"Na, Genossin Sagan, heute wieder mit ihrem schicken Ferrari hier?" antwortete sie mit strahlendem Lächeln: "Nein Monsieur, heute ist es ein Maserati."

Das Wort "Genosse" hätte sie nie in den Mund genommen, es wäre ihr zu unelegant gewesen. Übrigens erwies sich  der politisch der Linken nahestehende Yves Montand in ähnlicher Situation durchaus ebenbürtig. Von einem Interviewer auf seinen eleganten Rolls Royce angesprochen, erwiderte er:

"Ach wissen sie, mir gefällt ein Sozialist in einem Rolls Royce weitaus besser als ein Faschist in einem Panzer".

Francoise Sagan war  bekanntermaßen  auch eine gefragte Gesprächspartnerin und Reisebegleiterin von Francois Mitterand und Jean-Paul Sartre, den sie in seinen letzten schweren Jahren regelmäßig in sein Lieblingsrestaurant ausgeführt hatte.

Der merkwürdige Brauch - erstaunlicherweise gerade von weiblichen Kritikerinnen und sogenannten Feministinnen - Francoise Sagan als eine oberflächliche und lasterhafte Verfasserin minderwertiger Literatur abzuqualifizieren, bedarf einer Revision.

War Francoise Sagan eine Feministin ? Aber ja, und zwar eine der mutigsten, obwohl sie das sicher vehement bestritten hätte. Denn sie war mehr als das.

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"So, whatever will be my creeds.

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all you'll have to loose are your brains."

                                                                                         

                                                                                          

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